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Filmfest München

Licking My Wounds – Body Horror Inside Out

Bereits zum dritten Mal kooperieren das Museum Brandhorst und das FILMFEST MÜNCHEN, dieses Jahr anlässlich der Ausstellung „Future Bodies from a Recent Past – Skulptur, Technologie, Körper seit den 1950er-Jahren“. Dabei stehen sich wandelnde Körperbilder – auch in ihren monströsen Formen – im Zentrum: „Body Horror“.

26. - 29. Juni 2022

Autor und Künstler Charlie Fox wirft mit seiner Auswahl „Licking My Wounds – Body Horror Inside Out” einen intimen, gespenstischen Blick auf das Genre. Im Hauptprogramm des FILMFEST MÜNCHEN die aktuell passenden Kinoproduktionen „A Banquet“ (Regie: Ruth Paxton, UK 2021), „Dual“ (Regie: Riley Stearns, USA 2022) und „Watcher“ (Regie: Chloe Okuno, USA 2022).

„Licking My Wounds – Body Horror Inside Out" von Charlie Fox

Jeder Mensch kennt „Body Horror“ aus seinem tiefsten Inneren. Wenn Sie das hier lesen, sind Sie vermutlich durch die Pubertät gegangen. Sie haben Ihren Körper allmorgendlich im Badezimmerspiegel zum Monster mutieren sehen, wurden von einer Explosion von Hormonen entstellt, die Ihre Körpergröße, Stimme und Genitalien verformte. Dabei waren Sie doch vor Kurzem noch zum Anbeißen süß. Sie sind krank gewesen. Sie haben Kafka und Frankenstein und Alice im Wunderland gelesen. Vielleicht waren Sie sogar schwanger und haben etwas in sich wachsen gefühlt. Sie haben ganze Sturzbäche von Rotz, Eiter, Blut oder Sperma aus irgendeinem tiefen, dunklen Ort in Ihnen herausströmen gespürt. Bloß nichts anmerken lassen; so tun, als wäre nichts geschehen. Es ist abstoßend und doch faszinierend: Sie können sich dem nicht entziehen. Berühren Sie es, erschaudern Sie. Und noch einmal.

 

Ja, „Body Horror“ ist das Genre, dem wir uns zuwenden, um unsere Angst zu bewältigen, wenn sich der Körper falsch anfühlt. Es ist heute lebendiger denn je. Technologie verändert ständig unsere Beziehung zu unseren Körpern. Wir sind uns der düsteren Möglichkeiten einer Infektion mehr als bewusst. Überall werden Gesetze geschrieben und/oder aufgeweicht, um persönliche Rechte zu verwehren und Kontrolle über bestimmte Körper auszuüben. „Body Horror“ spuckt diese albtraumartigen Ängste in einer schleimüberzogenen und fantastischen Weise wieder aus, die gleichermaßen unterhaltsam wie zutiefst quälend ist. Ich liebe die Klassiker: das Frühwerk von David Cronenberg (Die Brut, 1979, Videodrome, 1983), das die Sex- und Technologiebesessenheit des Genres synthetisiert; die irre Cyberpunk-Abartigkeit von Shin’ya Tsukamotos Tetsuo: The Iron Man (1989); John Carpenters ansteckendes Meisterwerk Das Ding aus einer anderen Welt (1982). Als Teenager fühlte sich all das wie eine einzige abgedrehte Allegorie auf die Pubertät an. Aber der Gedanke, die Filme hier wiederauferstehen zu lassen, hätte mich zum Zombie gemacht.

 

Das Filmprogramm „Licking My Wounds – Body Horror Inside Out” ist gespenstischer: Im Grunde spiele ich mit dem Genre, will seine Fetische und Obsessionen in ihrem wabernden, traumartigen Zustand vorstellen, anstatt die herkömmlichen plumpen Extreme maximaler Blutrünstigkeit zu bedienen. Ich wollte zeigen, dass das Wesen dieses Genres mehr bietet, als vor Ekel die Gesichtszüge entgleisen zu lassen. Es geht darum, eigenartige neue Gefühle im Körper zu entdecken, die ebenso unerhört wie aufregend sind – abdriften, bis Sie sich nicht mehr nach sich selbst anfühlen.

 

Ursprünglich wollte ich Die Monster AG (2001) zeigen, einen herzzerreißenden Body-Horror-Klassiker, der im Grunde wie auch Videodrome die Idee feiert, dass Ansteckung gut sein kann und dass unsere Vorstellungen vom Schönen und Normalen immer reif für Veränderung sind; aber die folgenden Filme sind ebenfalls toll.

 

Cronenberg konnte ich am Ende nicht widerstehen. Die Unzertrennlichen (1988) ist ein chronisch unterbewerteter Film. Er erzählt die tragische Geschichte von Zwillingsbrüdern – beide Gynäkologen –, deren Psyche sich entblättert, als sie sich in dieselbe Frau verlieben. Nie war Jeremy Irons, hier in einer Doppelrolle, verführerischer und vampirhafter. Das biomechanische medizinische Besteck und die blutroten Roben lassen die Operationssequenzen wie belebte Francis-Bacon-Gemälde wirken. Wie so viele Cronenberg-Filme ist Die Unzertrennlichen eine opernhafte Liebesgeschichte über gefährliche Objekte der Begierde, seien es Drogen, Autounfälle oder menschliches Fleisch.

 

Trouble Everyday (2001) von Claire Denis ist ebenfalls eine Vampirromanze. Vincent Gallo und Béatrice Dalle wandeln durch Paris wie leidenschaftliche Wölfe, während ihnen lüsterne Wasserspeier von den Kathedralen herab zusehen. Alle scheinen auf schweren Beruhigungsmitteln zu sein. Body Horror behandelt immer wieder das Hoch und die Hölle sexueller Intimität, aber kein anderer Film schafft das auf so unheimlich klartraumartige Weise. Allein daran zu denken, macht mir Gänsehaut.

 

The Cell (2000) von Tarsem Singh mag in diesem Zusammenhang aus dem Rahmen fallen, weil dezidiert im Bereich des Virtuellen angesiedelt – spielt sich der Film doch größtenteils im Kopf eines komatösen Serienkillers ab. Doch in der physischen Manifestation böser Gedanken zeigt sich im Grunde das ganze Drama des Body Horrors. Dank der Kostüme der legendären Eiko Ishioka, der hyperreal-psychedelischen Geisteswelt, in der sie sich entfalten, und der schauspielerischen Leistung von Jennifer Lopez dürfte The Cell einer der „heißesten“ Filme aller Zeiten sein. Aber diese Sexyness ist auch teuflisch und pervers. The Cell ist auf ungemein körperliche Weise unheimlich: die junge Frau mit der gebleichten und von Insekten übersäten Haut, das prächtige, in Teile geschnittene Pferd und J.Lo, die sich am Höhepunkt des Films in eine Kombination aus Domina, Sphinx und Nonne verwandelt.

 

Ich finde all diese Filme extrem schön, doch es ist eine Art von Schönheit, über die wir selten sprechen oder die wir kaum zulassen, weil sie beängstigend ist. Aber gerade deswegen sind die Filme auch kathartisch und voller Zauber. Lassen Sie sich von ihnen aufsaugen!

Scabaction

Matthew Barneys Obsessionen sind in diesem Video, das er als zarter Faun im Alter von 20 oder 21 drehte, schon zu etwa 80 % ausgeprägt: Glibber, eine Fixierung auf Löcher, medizinische Behandlungen, ein Verständnis von nicht menschlichen oder unbelebten Dingen als Körper. SCAB ACTION zeigt das Schweißen einer Skulptur, Spielereien mit Vaseline und das Entfernen eines eingewachsenen Haares, was, je nachdem wie überempfindlich man eben ist, entweder als brutal grausig oder extrem befriedigend wahrgenommen wird. Der Titel klingt nach einer miserablen Death-Metal-Band: perfekt.

 

USA 1988
Regie Matthew Barney
1-Kanal-Video, Farbe, Länge 7:55 min (Loop)
Teil einer Installation mit 12 Zeichnungen; Grafit, Tusche, Stahl, Vaseline auf Papier, prothetisches Plastik, Schaum, selbstschmierendes Plastik, Nylon-Kabelbinder
Collection of Pamela and C. Richard Kramlich

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Die Unzertrennlichen

Body Horror handelt immer auch von Geburt, Sex und Tod: David Cronenberg fusioniert diese Themen kongenial zu einer tragischen Geschichte eineiiger, aber dennoch ungleicher Zwillinge (und dann sind sie auch noch Gynäkologen!), die es in psychosexuell-obsessiver gegenseitiger Abhängigkeit nicht schaffen, voneinander loszukommen. Ein Kunstwerk, das seiner Zeit voraus war, mit einem meisterhaften Jeremy Irons.

 

Kanada, USA 1988
Regie David Cronenberg
Buch David Cronenberg, Norman Snider
Besetzung Jeremy Irons, Geneviève Bujold, Heidi von Palleske, Barbara Gordon, Shirley Douglas
Länge 117 min OF

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The Cell

Ein psychopathischer Serienmörder treibt sein Unwesen. Die Körper seiner Opfer präpariert er, macht sie zu seinen Puppen. Einer Kinderpsychologin bleiben lediglich 48 Stunden, um mittels einer neuartigen Methode in die Geisteswelt des Killers einzutauchen und dessen neuestes Opfer zu retten. Tarsem Singh fusioniert körperliche Welten und seelische Abgründe zu einem bildgewaltigen Thriller in der unverkennbaren Ästhetik der Jahrtausendwende.

 

USA, Deutschland 2000

Regie Tarsem Singh

Buch Mark Protosevich

Besetzung Jennifer Lopez, Vince Vaughn, Vincent D’Onofrio, Marianne Jean-Baptiste, Jake Weber

Länge 107 min OF

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Trouble Every Day

Ein amerikanisches Pärchen fährt auf Hochzeitsreise nach Paris. Der Mann verhält sich seltsam. Er sucht dort nach Coré, die selbst längst nicht mehr unterdrücken kann, was er mühselig noch zu kontrollieren versucht. In Claire Denis’ frühem Meisterwerk, das im Frühling 2022 nach über 20 Jahren erstmals in den deutschen Kinos zu sehen war, steigert sich das Körperliche übers Animalische hin zum unausweichlichen blutigen Exzess.

 

Frankreich, Deutschland, Japan 2001
Regie Claire Denis
Buch Claire Denis, Jean-Pol Fargeau
Besetzung Vincent Gallo, Tricia Vessey, Béatrice Dalle, Alex Descas, Florence Loiret Caille Länge
101 min OmdU

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Junior

Eine schleimig-verwirrende und irgendwie seltsam niedliche Fabel über die Pubertät, erzählt aus der Sicht einer Teenagerin, der auf ganz grandiose Art und Weise einfach alles egal ist. Regisseurin Julia Ducournau verzauberte später alle Welt mit den sehr viel spröderen Meisterwerken „Raw“ (2016) und „Titane“ (2021). „Junior“ aber gehört mit seiner Hauptdarstellerin Garance Marillier, die ihre titelgebende Jugendliche auf dem Niveau eines Jean-Pierre Léaud spielt, fast zur typisch französischen Schule brutal realistischer Adoleszenz-Darstellungen. Bis die Dinge zu mutieren beginnen …

 

Frankreich 2011
Buch & Regie Julia Ducornau
Länge 21 min OmeU

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Sticky Drama

Der tribalistische Albtraum der frühen Teenagerjahre und verpeilte Mutantenangst, wiederaufgeführt als apokalyptisches Live-Action-Role-Play – und das alles in Form eines Musikvideos für eine dysphorische EDM-Hymne über Ejakulation von Oneohtrix Point Never. (Daniel Lopatin, der hinter Oneohtrix Point Never steckt, führt hier Regie gemeinsam mit dem Oberherren der Tech-Groteske, Jon Rafman.) Als ich Dan wegen des Videos anschrieb, meinte er nur, es repräsentiere das „Kino der pubertären Transgression“ – siehe also auch: Todd Solondz’ „Willkommen im Tollhaus“ (1995), Larry Peerces „Als Baby mißbraucht“ (1992) und Neil Jordans „Die Zeit der Wölfe“ (1984).

 

England, USA 2015
Regie Jon Rafman & Daniel Lopatin
Länge 5:47 min
© Jon Rafman and Daniel Lopatin, courtesy Warp Records

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Future Bodies from a Recent Past

Die Ausstellung macht ein bisher wenig beachtetes Phänomen in der Kunst und insbesondere der Skulptur erlebbar: die wechselseitige Durchdringung von Körper und Technologie.

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