Forever Young – 10 Jahre Museum Brandhorst
bis
Der zehnte Geburtstag des Museums im Mai 2019 ist Anlass für eine Werkschau aus den Sammlungsbeständen. „Forever Young – 10 Jahre Museum Brandhorst“ spannt einen Bogen von den frühen 1960er-Jahren bis in die gegenwärtige Kunstproduktion und setzt viele Neuankäufe der letzten Jahre mit den bekannten Sammlungshighlights in Verbindung. Die Ausstellung ist – mit wechselnden Exponaten – von 24. Mai 2019 bis 19. Juli 2020 zu sehen.
Ausstellungsinfo
bis
Patrizia Dander
Über die Ausstellung
Der zehnte Geburtstag des Museums im Mai 2019 ist Anlass für eine Werkschau aus den Sammlungsbeständen. „Forever Young – 10 Jahre Museum Brandhorst“ spannt einen Bogen von den frühen 1960er-Jahren bis in die gegenwärtige Kunstproduktion und setzt viele Neuankäufe der letzten Jahre mit den bekannten Sammlungshighlights in Verbindung.
Die Ausstellung hat drei Schwerpunkte: Zum einen die Pop-Art, gerade in ihrer oft übersehenen politischen Dimension. Ein zweiter Strang widmet sich dem brisanten Thema der Subjektivität in der Gegenwart – und damit der Frage, wie der Spätkapitalismus Identitäten prägt. Die dritte Sektion wendet sich einem der Kernthemen des Museums Brandhorst zu: der zeitgenössischen Malerei und der Fragestellung, wie sich diese althergebrachte Kunstgattung immer wieder erneuert. Hierzu hatte das Museum in den letzten Jahren mit „Painting 2.0: Malerei im Informationszeitalter“ wichtige Thesen formuliert, und dies in viel beachteten Einzelausstellungen wie „Kerstin Brätsch: Innovation“ und „Jutta Koether – Tour de Madame“ ausgeführt. Zudem wird zum Jubiläum Twomblys Rosensaal in seiner ursprünglichen, vom Künstler konzipierten Form wieder zu sehen sein.
Die Ausstellung wird gefördert von
HEJPIX GmbH & Co. KG
PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V.
Kulturpartner: BR
Medienpartner: ARTE
Forever young
I want to be forever young
Do you really want to live forever
Forever, and ever?
Die dunkle Seite von Pop
Die Ausstellung vereint drei Erzählstränge, die für sich stehen und doch aufeinander Bezug nehmen. Beim ersten Narrativ, das in den Räumen des Erdgeschosses aufgefächert wird, handelt es sich um ein Feld, das maßgeblich zur Bekanntheit und Beliebtheit des Hauses beiträgt: die Pop-Art. Mit mehr als 120 Arbeiten aus allen Werkphasen von Andy Warhol bietet das Museum den europaweit profundesten Einblick in das Schaffen eines Künstlers, der wie kein Zweiter die Gegenwartskunst seit den 1960er-Jahren beeinflusst hat und bis heute grundlegend prägt. Aber nicht nur Warhol gehört zu den Publikumsmagneten des Museums Brandhorst, auch bekannte Arbeiten von Ed Ruscha und Richard Avedon sind Teil der Sammlung. In der Ausstellung „Forever Young“ werden diese Werke in einem Kontext präsentiert, der das Klischee „Pop-Art“ – knallig, populär, bunt, auf gewollte Weise „oberflächlich“ – erweitert und in einem neuen Licht erscheinen lässt. In der Ausstellung rücken die düsteren, politischen und gesellschaftskritischen Aspekte von Pop ins Blickfeld.
Zentrale Figur ist auch hier Andy Warhol. Exemplarisch ist seine legendäre Arbeit „Mustard Race Riot“ aus dem Jahr 1963. Warhol reproduziert Pressefotos, die weiße Polizisten dabei zeigen, wie sie schwarze Demonstrierende mit Schäferhunden attackieren. An Bedeutung nicht zu unterschätzen ist zudem seine Serie „Ladies and Gentlemen“. Mit ihr dokumentierte der Künstler ab Mitte der 1970er-Jahre das Leben und den Look von vorwiegend farbigen Transvestiten. Auch andere Arbeiten werfen den Blick auf Persönlichkeits-, Identitäts- und Gemeinschaftskonzepte jenseits der sozialen Normierung, etwa Richard Avedons „Andy Warhol and Members of the Factory“ – Fotografien der exzentrischen Persönlichkeiten aus dem Gefolge Warhols zwischen 1969 und 1970. Ein anderes Beispiel ist die Videoarbeit „Chelsea Girls with Andy Warhol“ (1971/1994) von Michel Auder, einem französischen, in New York lebenden Filmemacher. Er machte geradezu obsessiv Filmaufnahmen von Warhol und seinem Umfeld, die so unterhaltsam wie authentisch sind und einen intimen Einblick ins Leben schillernder Persönlichkeiten ihrer Zeit geben.
Von hier aus lässt sich eine direkte Linie bis in die 1990er-Jahre ziehen – etwa zu Wolfgang Tillmans, der Mitglieder der Rave-Szene porträtierte, in der er für sich die Utopie eines freien Kollektivs entdeckte. Tillmans arbeitete immer wieder auch als Lifestyle-und Modefotograf. Mit Mode, zwischen den Polen Uniform und Exzentrik, beschäftigen sich auch Künstler wie Seth Price mit seiner Arbeit „Vintage Bomber“ (2006), einem goldfarbenen Kunststoffabguss einer Bomberjacke, oder Alexandra Bircken, die aus Schaufensterpuppen eine postapokalyptische Armee formt.
Ein ähnlicher Publikumsliebling wie Warhol ist Jean-Michel Basquiat. Seine von Phänomenen wie Graffiti beeinflussten Werke reflektieren – wie die gezeigten Arbeiten von Keith Haring – den Lebensraum Großstadt, der ab den frühen 1980er-Jahren in der Kunst zunehmend thematisiert wird. Auch die Neonröhrenarbeiten von Bruce Nauman oder die superglatte Warenästhetik eines Jeff Koons passen in diesen Kontext.
Subjekte im Spätkapitalismus
Der zweite große Erzählstrang von „Forever Young“ schließt an dieser Stelle an. Er findet im Untergeschoss statt und stellt die große Frage, welche Formen von Subjektivität die Gegenwart hervorbringt. Da ist zum Beispiel die Arbeit „Deep Social Space“ (1989) von Cady Noland – eine Art Bestandsaufnahme des amerikanischen White Trash: Gezeigt wird die unterschwellige Gewalt von dessen Insignien – Barbecue, US-Flagge, zerknüllte Budweiser-Dosen. Die dunkle Seite der USA behandelt ebenfalls David LaChapelle mit seinen Einblicken in die Partykeller, denen er durch kaum wahrnehmbare Bildmontagen einen ebenso karikierenden wie dramatischen Twist verleiht. Ähnlich Mike Kelley, der sich – etwa in seinen Installationen mit Stofftieren – mit den düsteren Aspekten der Jugendkultur und dem Trauma der Disziplinierung in Schule und Erziehung beschäftigt.
In dieses Themenfeld – überspitzt formuliert: kaputte Subjekte – gehört auch eine der prominentesten Arbeiten des Museums Brandhorst: Damien Hirsts „In this Terrible Moment We Are Victims Clinging Helplessly to an Environment that Refuses to Acknowledge the Soul“ aus dem Jahr 2002. 27 639 Tabletten sind hier in einem gigantischen Pillenregal angeordnet und ergeben ein höchst ambivalentes Ganzes aus befriedigender Ordnung und Kommentar zum allgegenwärtigen Optimierungsdruck mit seinen daraus folgenden Pathologisierungen. Der Körper steht ebenfalls im Fokus der Arbeiten des Kollektivs KAYA, bestehend aus Kerstin Brätsch und Debo Eilers. Sie arbeiten mit dem Abguss von Körperteilen eines Mädchens; wenn man so will: eine Coming-of-Age- Geschichte in Epoxidharz. Der transparente Abguss ist mit Münzen und Spielgeld versetzt – Sinnbild für den „kapitalisierten“ Körper.
Malerei im Informationszeitalter
In einem dritten Bereich der Ausstellung, die in den Kabinetten im Untergeschoss gezeigt wird, steht die zeitgenössische Malerei im Fokus. Diese wird in einen überraschenden Zusammenhang mit der steten Expansion digitaler Technologien gestellt. Denn die fortschrittlichsten Ansätze der Malerei entwickelten sich seit den 1960er-Jahren in produktiver Reibung mit der Massenkultur und ihren medialen Bedingungen: wenn etwa Gerhard Richter Zeitungsbilder in Schwarz-Weiß abmalt oder Albert Oehlen abstrakte Malereien mittels digitaler Malprogramme entwirft. Oder wenn Wade Guyton seine Bildmotive am Rechner gestaltet und deren Materialisierung auf Leinwand einem Tintenstrahldrucker überlässt.
Mit digitaler Ästhetik setzt sich auch Kerstin Brätsch in ihrer Malerei auseinander. Ihr typischer dreifarbiger Pinselstrich erinnert an digitale Farbverläufe. Er sieht aus, als hätte sie ihn in Photoshop eingespeist und vervielfältigt. Allerdings weisen die Pinselspuren und feinen Unregelmäßigkeiten im Farbauftrag die Bilder als zutiefst analog aus. An dieser Schraube dreht auch Laura Owens. Sie scannt Zeitungsseiten aus den 1940er-Jahren ein und bearbeitet sie digital so, dass die Bildebenen an Desktop-Fenster erinnern. Diese Dateien wiederum gibt sie als Siebdruck aus und bearbeitet sie malerisch. Hier schließt sich wieder ein Kreis: Owens’ Arbeit wirkt wie ein Update von Andy Warhol, nicht nur in Bezug auf die Technik, sondern auch, weil Owens sich wie Warhol mit der Frage beschäftigt, wie Bilder und Informationen heute verbreitet werden.
Spot On
All das wird ergänzt durch herausgehobene Einzel- und Gruppenpräsentationen, die unter dem Motto „Spot On“ in zwei Räumen im Erdgeschoss stattfinden. Hier wurden über das Jubiläumsjahr hinweg jüngst erworbene Werkblöcke u.a. von Jacqueline Humphries, Michael Krebber, Rebecca Quaytman und Albert Oehlen in Einzel- beziehungsweise Zweierpräsentationen gezeigt.
Aktuell werden im Erdgeschoss „Bücher in der Sammlung Brandhorst“ gezeigt. In der Ausstellung sind zentrale Neuerwerbungen der letzten Jahre zu sehen, u.a. von Kara Walker, Andy Warhol, Arthur Jafa und Ed Ruscha.

Cy Twombly
Nicht zuletzt wird im Rahmen von „Forever Young“ Cy Twombly im Obergeschoss des Museums in einer neuen Präsentation gefeiert. Den Auftakt bildet eine prominente Neuerwerbung aus Twomblys allerletzter Werkserie „Camino Real“ (2011), die sicherlich zu den intensivsten Arbeiten seiner über 60-jährigen Karriere zählt: Rote, gelbe und orangefarbene Schleifen ziehen sich über den hellgrünen Grund und bilden leuchtende Farbakkorde aus. Sein Rosensaal wird wieder in der ursprünglichen, vom Künstler konzipierten Form zu sehen sein. Darüber hinaus ist sein überwältigender „Lepanto“-Zyklus zugänglich – in dem eigens für ihn entworfenen Raum im Obergeschoss.