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Interview

Ed Ruscha: „Jede Kunst ist eine eigenartige Praxis“

Portrait von Ed Ruscha für Interview mit Mokina Bayer-Wermuth, Kuratorin im Museum Brandhorst

Einleitender Text

„Letztendlich ist jede Kunst eine eigenartige Praxis und entzieht sich einer Erklärung oder Klärung. Sie liegt im Bereich des Uneindeutigen. Vielleicht gehört sie genau dorthin.“ Ed Ruscha im Gespräch mit Monika Bayer-Wermuth

Interview

Im letzten Jahr feierte das Museum Brandhorst sein zehnjähriges Bestehen. Dies haben wir zum Anlass genommen, um über den Zeitraum eines Jahres die Sammlung des Museums in allen seinen Räumen zu präsentieren, wobei unsere Neuerwerbungen im Mittelpunkt stehen. Wir wollten in dieser Zeit nicht nur über die Sammlung, sondern auch über deren Zukunft nachdenken. Ihr Gemälde „Really Old“ von 2016 hat uns in diesem Jubiläumsjahr in gewisser Weise als Orientierung gedient. „Brand New“, „1/2 Way“ und „Really Old“: Wo stehen wir? Diese Frage zog sich durch viele unserer Gespräche. Mir gefällt an dem Gemälde, dass es nach oben hin breiter wird; dort, wo „Brand New“ steht, ist es schmal, und dort, wo es heißt „Really Old“, breit. Das ist ein bisschen wie ein Versprechen, dass wir immer weiter wachsen. Aber vielleicht interpretiere ich da auch zu viel hinein. Können Sie uns etwas mehr zu diesem Werk sagen, zum Beispiel über die Form der Leinwand, die Schrift und die Farben?

„Really Old“ ist ein Werk aus einer Gruppe von Bildern, die ich „Extremes and In-betweens“ genannt habe. Ich habe mich immer gegen die Verlockung gewehrt, Leinwänden eine Form zu geben. Diese Art von Kunst hat mich nie inspiriert, doch das Vergehen der Zeit brachte mich auf die Idee mit dem Megafon, und plötzlich hatte ich eine geformte Leinwand! Die Schrift ist eine verlässliche alte Freundin aus einer Welt ohne Stil, eine neutrale Geschichtenerzählerin. Der Hintergrund: reines Umbra, abgemischt mit Weiß – was sich als große und willkommene Überraschung herausstellte, denn daraus entstand eine Farbe, die vergessen hatte, dass sie eine Farbe ist. Sie entsprach in etwa einem neutralen Raumton, und ich war zufrieden mit dieser Leere.

 

Wörter als Bilder und Kombinationen aus Wort und Bild spielen in Ihrem Werk eine große Rolle. Welche Eigenschaften von Wörtern haben Ihr Interesse als visueller Künstler geweckt?

Für mich hatte alles, was auf einem bedruckten Blatt Papier stand, einen Nährwert. Wenn ich, sagen wir mal, den Buchstaben „S“ gemalt habe, habe ich nicht vergessen, dass dieser Buchstabe nicht wirklich von mir erfunden und geschaffen wurde, sondern von jemandem, der weit vor mir gelebt hat. Das hat mich immer amüsiert, weil ich ja im Grunde die Erfindung eines anderen abgezeichnet habe.

 

Manchmal setzen Sie ganze Ausdrücke und Zitate vor einen Bildhintergrund. Dadurch lassen sich weder die Wörter rein als Text noch das Bild rein als Bild betrachten, sie werden zu einem untrennbaren Paar, dessen separate Identitäten sich gegenseitig bedingen und beeinflussen. An welchem Punkt Ihres Schaffensprozesses entscheiden Sie, ob ein Wort und ein Bild zusammenpassen?

An dem Punkt, an dem blindes Vertrauen und Impuls zusammenkommen und mich dazu bringen, nicht zu sehr über das nachzudenken, was ich tue – ich kenne nur die Bewegung nach vorn.

 

Manchmal verwenden Sie nur einzelne Wörter vor einem einfarbigen Hintergrund, kurze, einfache Begriffe wie „Smash“, „Boss“ oder „Eat“. Wir alle können auf die eine oder andere Weise etwas mit diesen Wörtern anfangen. Woher stammen sie und was finden Sie an Ihnen interessant?

Ich habe schon früh auf Wörter reagiert, die Lärm oder einen Aufprall suggerieren, wie einsilbige Wörter aus Comics. Wörter, die wie Cartoons sind. Wörter, die der Fantasie eines Menschen entspringen.

 

Ja, der Klang wird selbst Teil des Werkes. Mir geht das jeweilige Wort unweigerlich im Kopf herum, wenn ich vor diesen Bildern stehe. Sie haben Kraft, aber sie sind auch sehr offen für die Projektion von Bedeutungen – in dieser Hinsicht sind sie recht abstrakt. Würden Sie dem zustimmen?

So, wie jede Kalligrafie sich als abstrakt betrachten ließe, besitzen auch diese verrückten Formen ihren eigenen Charakter. Alle sind so aufgereiht, als hätte das tatsächlich eine Bedeutung. Man könnte hier von einem sehr einfachen Wunder sprechen.

 

Auf unserem Gemälde „Not Only Securing the Last Letter But Damaging It as Well (Boss)“ von 1964 sind zwei Schraubzwingen zu sehen, bei denen unklar ist, ob sie das „S“ von der Leinwand entfernen oder aber daran befestigen sollen. Der Buchstabe, der aus einem sehr weichen Gewebe oder einer glänzenden Folie gemacht zu sein scheint, wird zu einem plastischen Körper. Er ist nicht länger flach, sondern illusionistisch. Auf mich wirkt das auch wie ein ironischer Hinweis darauf, dass es sich hier nicht um ein Schriftstück, sondern um eine Malerei handelt. Hatten Sie so etwas im Sinn?

Ich weiß noch, dass ich bei diesem Gemälde nach einer Alternative für ein statisches Bild gesucht habe. Ich war 26, als es entstanden ist, und nicht alt genug, meine eigene Reife einschätzen zu können. Vielleicht hatte ich das Gefühl, die Schraubzwingen zu brauchen, um das Thema zu „verschärfen“.

 

Ein weiteres Werk, das in unserer aktuellen Ausstellung eine herausragende Rolle spielt, ist „Psycho Spaghetti Western #14“ (2013/2014). Darin wird eine ganz andere Szene präsentiert – eine ziemlich surreale: eine verlassene Landschaft aus weggeworfenen Gegenständen. Und es gibt auch einen Verweis auf das Kino: Sowohl der Müll als auch die Landschaft sehen aus wie perfekte, wenn auch unnatürlich ausgeleuchtete Protagonisten eines Films. Der Titel ist ebenfalls gespickt mit Anspielungen aus der Filmgeschichte. Können Sie uns ein wenig über die Serie „Psycho Spaghetti Western“ erzählen?

Diese Serie ist vergleichbar mit dem Pflücken reifer Früchte von einem Baum, außer, dass es sich bei den Motiven um weggeworfene Sachen am Rande des Highways handelt. Die Objekte sollen heroisch und tragisch zugleich sein.

 

Die Landschaft – ob Stadtlandschaft oder endlose Autobahnen – ist ein wiederkehrendes Thema in Ihren Arbeiten. Auch in vielen Ihrer Buchprojekte, wie zum Beispiel „Twentysix Gasoline Stations“ (1963) oder „Every Building on the Sunset Strip“ (1966), geht es um Landschaft. Dabei ist die Straße zentrales Motiv. Was bedeuten diese Straßen für Sie?

Beim Anblick einer vor mir liegenden Straße denke ich an aufgerollte und verdrehte Bänder, die bewegt und flach ausgerollt werden, bis sie einen geradlinigen Highway bilden. Mit anderen Worten, ich sehe die Straße als Fantasie und Realität in einem wunderschönen Paket.

 

Einige Ihrer Buchprojekte sind rein konzeptuell und unterlaufen jedes Narrativ, so auch „Various Small Fires“ (1964) oder „A Few Palm Trees“ (1971). Andere wiederum folgen einer ziemlich verspielten Erzählung, darunter „Royal Road Test“ (1967), „Crackers“ (1969) oder „Hard Light“ (1978). In „Crackers“ führt ein gut aussehender Typ, gespielt von Larry Bell, eine attraktive Frau zu einem Date aus. Absurderweise lockt er sie in ein frisch zubereitetes Salatbett (etwas Verführerischeres kann ich mir kaum vorstellen …). Doch anstelle der erwarteten Sexszene sehen wir dann, wie der Herr in einem anderen Zimmer und allein im Bett, im adretten Pyjama und mit einer Packung Crackers in der Hand, sich aus der Ferne über das Szenario amüsiert. Statt als Playboy erweist sich der Kerl also als Witzbold … Ich habe über dieses Werk sehr gelacht, mir gefällt seine unerwartete Absurdität. Andererseits gibt sie mir auch Rätsel auf. Was können wir aus diesem Buch und dieser Geschichte über die Person Ed Ruscha erfahren?

Sie können erfahren, dass ich mir die fantasievolle Geschichte meines Freundes (Mason Williams) ausgeliehen habe, um schnell eine Ausrede zu haben, einen Film zu machen, den einige eine „shaggy-dog story“ genannt haben, also eine langatmige Geschichte, die meist nur aufgrund ihrer Banalität oder Absurdität amüsant ist. Letztendlich ist jede Kunst eine eigenartige Praxis und entzieht sich einer Erklärung oder Klärung. Sie liegt im Bereich des Uneindeutigen. Vielleicht gehört sie genau dorthin.

 

Vielen Dank, Ed Ruscha.