Schiff Ahoy. Zeitgenössische Kunst aus der Sammlung Brandhorst
bisMit rund 150 Werken aus der Sammlung Brandhorst richtet „Schiff Ahoy“ den Blick auf die ungebrochene Relevanz der Kunst der 1960er- und frühen 1970er-Jahre für die zeitgenössische Kunstproduktion.
Ausstellungsinfo
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Patrizia Dander
Über die Ausstellung
Mit „Dark Pop“ und „Yes!Yes!Yes! Warholmania in Munich“ stand das Museum Brandhorst 2015 ganz im Zeichen der Pop Art. Kontrapunktisch dazu setzt „Schiff Ahoy. Zeitgenössische Kunst aus der Sammlung Brandhorst“ bei Positionen der Minimal Art und des Postminimal, der Arte Povera und der Konzeptkunst an. Mit rund 150 Werken aus der Sammlung richtet „Schiff Ahoy“ den Blick auf die ungebrochene Relevanz der Kunst der 1960er- und frühen 1970er-Jahre für die zeitgenössische Kunstproduktion. Künstler wie Carl Andre, Joseph Beuys, James Lee Byars, André Cadere, Mario Merz, Ed Ruscha, Niele Toroni, Richard Tuttle oder Lawrence Weiner experimentierten in dieser Zeit mit neuen Materialien, Fertigungsmethoden und Arbeitsfeldern, aber auch mit einem neuen Körperbegriff. Sie stellten den statischen und abgeschlossenen Werkcharakter infrage, adressierten offensiv die Rolle des Betrachters und beschäftigten sich mit alternativen künstlerischen Formaten und Distributionswegen. Diese Aspekte sind nach wie vor virulent und fruchtbar und offenbaren zahlreiche Verbindungslinien innerhalb der Sammlungsbestände von 1958 bis heute.
Was die aktuellen künstlerischen Positionen mit ihren unmittelbaren Vorläufern verbindet, ist das Interesse an der Aktualisierung historischer Zusammenhänge – eine Dynamik, die die titelgebende Arbeit „Schiff Ahoy – Tied to Apron Strings“ (1989) von Lawrence Weiner beispielhaft verdeutlicht. Die 13-teilige Collageserie basiert auf von Weiner bearbeiteten Buchseiten aus „Die Siegesfahrt der Bremen“ (1940). Dabei handelt es sich um den in heroischem Ton verfassten Erfahrungsbericht eines Seemanns. Kommodore Ahrens überführte kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs den Schnelldampfer „Bremen“ des Norddeutschen Lloyd aus den USA in die nationalsozialistische Heimat und damit in die fatale Zukunft Deutschlands, die 1945 in einer neuen Weltordnung münden sollte. Weiner greift 1989 auf das Buch zurück, also in dem Moment als ebendiese Nachkriegsweltordnung, mit ihrer Aufteilung des Globus in „Ost“ und „West“, ins Wanken gerät. Damit setzt er zwei zentrale Wendepunkte des 20. Jahrhunderts zueinander ins Verhältnis und demontiert – durch die Beifügung „am Gängelband geführt“ – die hegemonialen Bestrebungen ideologischer Systeme.
Den Auftakt der Ausstellung bildet die kürzlich für die Sammlung erworbene „Sitzgruppe Heimo“ (1996) von Franz West und Heimo Zobernig. Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, auf von West gestalteten Stühlen Platz zu nehmen.
Vor diesen ist ein „white cube“ aufgestellt, also ein weißer Kubus, der für die reduzierte Form des modernen Ausstellungsraums steht. An wen wendet sich dieser Kubus? Hat er etwas zu sagen, und wenn ja, was? Handelt es sich bei dem Kubus um einen autonomen Raum oder ist er ein Objekt auf einer Bühne? Und wenn Bühne, wer ist dann der Akteur? Die „Sitzgruppe Heimo“ lädt auf kluge und humorvolle Art ein, über all diese Fragen nachzudenken, und gibt damit den Ton an für die auf der Eingangsebene des Museums versammelten Werke. Zentrales Bindeglied der Arbeiten ist die Figur des Betrachters. Deutlich wird dies in der begehbaren minimalistischen Bodenarbeit „FeCuND“ (1986) von Carl Andre, die erstmals seit Eröffnung des Museums gezeigt wird, oder auch in Heimo Zobernigs unbetitelter Spiegelwand von 1999 aus der Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, die die Besucherinnen und Besucher regelrecht ins Bild setzt.
Die Kabinette im Untergeschoss setzen bei den erweiterten künstlerischen Formaten und Distributionsformen der 1960er-Jahre an. Beispielhaft dafür sind Ed Ruschas Künstlerbücher, denen die ihnen zugrundeliegenden fotografischen Serien der „Gasoline Stations“ (1962) und „Los Angeles Apartments“ (1965) gegenübergestellt werden. Die Aufnahmen zeigen die (sub)urbane Landschaft an der Westküste der USA. Ruscha hatte die Fotografien mit dem Ziel, sie in Buchform zu publizieren, gemacht. Die Bücher galten als demokratische und bewusst unspektakuläre Form für die Kunst der damaligen Zeit – man konnte sie bereits für wenige Dollar erwerben. In dieser Tradition sind auch die digitalen und gedruckten Künstlerbücher (2010-2013) von Paul Chan zu sehen, die sich unter anderem mit militärischer Macht und ökonomischen Strukturen beschäftigen. Martin Kippenbergers „Pop It Out“ (1994), eine Mappe mit 31 Plakaten, die befreundete Künstlerinnen und Künstler für ihn gestaltet haben, führt die Überlegungen zu erweiterten künstlerischen Formaten fort. Die „Distribution“ von Autorschaft und Subjektivität, die „Pop It Out“ zugrunde liegt, spielt auch in den Bildern von Christopher Wool, Louise Lawler und R. H. Quaytman eine Rolle. Den Abschluss der Raumfolge bilden Bilder und Objekte von Seth Price, die formal den Briefkuverts von Unternehmen nachempfunden sind. Sie lassen sich als Metaphern für die Aushöhlung der Privatsphäre, aber auch für die Entleerung von Inhalten durch eine inflationäre Zirkulation von Bildern und Informationen verstehen. Damit werden sie zu dystopischen Endpunkten der von der Konzeptkunst zelebrierten alternativen Distributionsformen, die von dem Impuls einer breiten Zugänglichkeit getragen waren. Heute, wo beinahe alles nur noch einen Mausklick entfernt ist, liegt das letzte Geheimnis in der schützenden Hülle.
Ein besonderer Fokus liegt auf den Neuankäufen der vergangenen beiden Jahre, die größtenteils erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Mit Arbeiten von Kerstin Brätsch, Paul Chan, Jacqueline Humphries, Louise Lawler, Mark Leckey, Seth Price, Josh Smith, R. H. Quaytman, Kelley Walker oder Heimo Zobernig markiert „Schiff Ahoy“ die programmatische Sammlungserweiterung in Richtung aktueller künstlerischer Positionen.
Diese Schwerpunktsetzung, die mit den Einzelausstellungen von Wade Guyton, Kerstin Brätsch und Seth Price weiter ausgebaut wird, erfolgt im Zeichen der eigenen Sammlungsgeschichte, die seit den 1970er-Jahren mit den Künstlerinnen und Künstlern ihrer Zeit gewachsen ist.
Die Ausstellung wird gefördert von
PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V.