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Essay

Forever Young — Pfade ins Jetzt

Ausstellungsansicht 'Forever Young - 10 Jahre Museum Brandhorst' mit Werk von Jutta Koether und Charline von Heyl

Einleitender Text

Identitätspolitik, Digitalisierung, Subjekte im Spätkapitalismus: Die Ausstellung „Forever Young – 10 Jahre Museum Brandhorst“ aus den Beständen der Sammlung Brandhorst zeigt, was Gegenwartskunst mit unserem Leben zu tun hat.

Essay

Immer ging es uns um die Frage: Was ist gerade jetzt relevant?
– Patrizia Dander, Kuratorin

 

Wenn eine Ausstellung aus den Beständen der Sammlung Brandhorst den Titel „Forever Young“ trägt, kann man sich fragen: Wurde hier ein Fragezeichen vergessen? Oder handelt es sich um Ironie? Zumal sehr viele der gezeigten Arbeiten mehrere Jahrzehnte alt sind und bedeutende Gegenwartspositionen wie Post-Internet-Art nicht vertreten sind. Wie „jung“ kann so eine Ausstellung sein?

 

Patrizia Dander, leitende Kuratorin am Museum Brandhorst, hat „Forever Young“ zusammengestellt und erklärt, was mit dem Titel gemeint ist: „Es ging nicht darum, einfach die bedeutendsten Arbeiten unserer Sammlung zu zeigen. Vielmehr soll die Auswahl Bezugspunkte zur Gegenwart herstellen, zur gegenwärtigen Kunstproduktion, vor allem aber zur gesellschaftlichen Praxis – und das können Werke aus den 1960ern genauso wie ganz aktuelle.“

 

Die gezeigten Arbeiten docken an zen trale Themen des Hier und Jetzt an: an den Feminismus und die Identitätspolitik, an die Rolle von Subkulturen, die Thematisierung des Körpers, die Militarisierung der Gesellschaft, die immer noch steigerbare Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und nicht zuletzt an die Digitalisierung. All das taucht in „Forever Young“ auf; mal ganz offensichtlich und direkt, mal als Zitat oder als Metadiskurs. „Immer ging es uns um die Frage: Was ist gerade jetzt relevant?“, so Dander.

 

Es ist nur konsequent, dass Pop eine zentrale Bedeutung in der Ausstellung spielt. „Das Schöne an der Pop-Art ist ihre Großzügigkeit“, sagt Dander. „Sie ist so offensichtlich mit dem Leben verbunden.“ Die überragende Figur – sowohl kunstgeschichtlich als auch in der Sammlung Brandhorst – ist natürlich Andy Warhol. In „Forever Young“ ist er mit 45 Arbeiten vertreten. „Man kann Warhol mit Fug und Recht als einen der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts bezeichnen“, so Dander. „Ganz viele seiner Themen sind bis heute brandaktuell: seine Beschäftigung mit Gender und Queerness, mit Körpern und Selbstdarstellung, mit der Bild- und Warenzirkulation.“

 

In „Forever Young“ geht es darum, eine Seite von Warhol – und generell von Pop-Art – zu zeigen, die bisher noch nicht so sehr im öffentlichen Bewusstsein ist: die politische und gesellschaftskritische Dimension. „Wenn Warhol etwa Mitte der 1970er-Jahre in seiner Serie ‚Ladies and Gentlemen‘ das Leben und den Look von vorwiegend Schwarzen Transvestiten zeigt, ist das aus heutiger Sicht ein dezidiert identitätspolitisches und somit überraschend aktuelles Statement“, sagt Dander. Von hier lässt sich eine direkte Linie in die 1990er-Jahre ziehen, wenn Wolfgang Tillmans in seinen Porträts dem utopischen Potenzial der Rave-Szene nachspürt. Ein ähnlicher Publikumsliebling wie Warhol ist Jean-Michel Basquiat. Seine von Phänomenen wie Graffiti beeinflussten Werke reflektieren – ähnlich wie die gezeigten Arbeiten von Keith Haring – den Lebensraum Großstadt, der ab den frühen 1980er-Jahren in der Kunst zunehmend thematisiert wird: seine Codes und Styles, aber auch die ständigen Veränderungen, denen er unterworfen ist, sowie seine zunehmende Kommerzialisierung.

 

Ein zweites Narrativ von „Forever Young“ beschäftigt sich mit dem prekären Status von Subjekten im Spätkapitalismus. Alle Arbeiten hierzu sind in dem großen Saal im Untergeschoss zusammengestellt. Anders als im Erdgeschoss des Museums geht es nicht darum, einzelne Strömungen oder Tendenzen zu definieren. Vielmehr: einen Raum mit verschiedenen künstlerischen Positionen zu bespielen, die in einem Verhältnis stehen und die sich thematisch zwischen Jugendwahn und Selbstoptimierung, zwischen Ausverkauf und Pathologisierung bewegen – und damit Abbild einer zerfallenden Gesellschaft sind. Da ist etwa die Arbeit „Deep Social Space“ (1989) von Cady Noland, eine Art Bestandsaufnahme der Insignien des amerikanischen White Trash: Barbecue, US-Flagge, zerknüllte Bierdosen. Die dunkle Seite der USA behandelt auch Mike Kelley, der sich mit Jugendkultur und dem Trauma der Disziplinierung in Schule und Erziehung beschäftigt. In dem Saal befindet sich aber auch der absolute Publikumsliebling des Museums Brandhorst: Damien Hirsts gigantisches Regal mit 27.639 akribisch geordneten Arzneipillen.

 

Das dritte Narrativ von „Forever Young“ widmet sich schließlich einem Thema, das im Museum Brandhorst Tradition hat: Malerei in der Gegenwartskunst. Schon die Ausstellung „Painting 2.0“ (2015/16) ging der Frage nach, welche Rolle Malerei im Informationszeitalter einnehmen kann. Dander: „Ein Thema ist, wie sich Körperbilder im Lauf der Zeit geändert haben. Oder wie Malerei auf die mediale Vervielfältigung von Bildern und die unendlichen Möglichkeiten des Digitalen reagiert.“ Das Spektrum reicht hier von den frühen 1960er-Jahren, zum Beispiel Sigmar  Polkes hintersinnig-ironischem Gemälde „ Goethes Werke“ (1963) – den gemalten Buchrücken der Gesamtausgabe des Dichterfürsten, einem ebenso pathetischen wie angesichts von Onlinebibliotheken aus der Zeit gefallenen bildungsbürgerlichen Insigne –, bis in die unmittelbare Gegenwart, wenn beispielsweise Kerstin Brätsch ihren typischen Pinselstrich so aussehen lässt, als wäre er mit einem Photoshop-Tool gesampelt.

 

„Das Schöne an ‚Forever Young‘ ist, dass die Ausstellung für alle Besucher etwas bereithält“, sagt Dander. „Das Fachpublikum etwa bekommt in den „Spot On“-Räumen – die sich einer Künstlerin oder einem Künstler widmen – Arbeiten zu sehen, die wir neu in der Sammlung haben. Aber auch Besucherinnen und Besuchern, die zeitgenössische Kunst erst für sich entdecken, wird es leicht gemacht, weil alle Werke auf die eine oder andere Weise mit der Gegenwart verknüpft sind. So werden alle etwas finden, was direkt mit ihrer Welt zu tun hat.“